Konferenz MCTA: Die digitale Krise – geht die mobile Zukunft an Europa vorbei? | 14.05.2014

14. Konferenz Mobile Commerce – Technologien, Märkte, Anwendungen (MCTA 2014) fand in dieser Woche erstmals in Frankfurt statt

Deutschlands älteste noch bestehende Mobile-Konferenz fand in dieser Woche erstmals in Frankfurt statt. Die Konferenz, die 2001 unter dem Leitmotiv "Science meets Industry" von der Forschungsgruppe wi-mobile der Universität Augsburg ins Leben gerufen wurde und inzwischen zusammen mit Gesellschaft für Informatik und weiteren Partnern veranstaltet wird, setzte erneut Standards bei der fachlichen Qualität der Inhalte. Neben spannenden Zukunftskonzepten waren auch kritische Töne und Warnungen zu hören.

"Die mobile Revolution ist in vollem Gange und wird auch viele traditionelle Branchen verändern", resümiert PD Dr. Key Pousttchi, Gründer der Konferenz MCTA. "Die Diskussion auf hat jedoch klar gezeigt, dass die Firmen sehr genau auf Chancen und Risiken achten müssen, sonst gibt es ein böses Erwachen."

Die digitale Krise als Resultat von Netzneutralität und naiver Wettbewerbspolitik?

Dass diese Mahnung nicht nur für Unternehmen, sondern auch auf politischer Ebene gilt, machte John Strand deutlich, der vor 20 Jahren Strand Consult in Kopenhagen gründete und weltweit zu den führenden Experten der Telekommunikationsbranche zählt: "If EU policies remain unchanged, Europe will face a digital crisis which will outrun the effects of financial crisis by far", so Strand in seiner Keynote. Die EU-Regulierung im Telekommunikationssektor sei weder stabil noch klug, sie richte sich häufig nach politischen Stimmungen und sei nur kurzfristig verbraucherfreundlich. Im Ergebnis führe sie dazu, dass die Telekommunikationsunternehmen in Europa nicht mehr in die Infrastruktur investierten. Während vor zehn Jahren die Investments in den USA und der EU im Pro-Kopf-Vergleich etwa gleich hoch waren, ist das Verhältnis inzwischen bei 2:1 und die Schere geht stetig weiter auseinander. Wenn man hier nicht gegensteuere, so Strand, gebe es in einigen Jahren zwar viele neue Dienste, aber in Europa keine Bandbreite für deren Nutzung. "BMW, Audi and Mercedes can sell connected cars then – but drivers will not be able to connect anymore", so seine eindringliche Warnung.

Cyber-Physical Systems und Zukunftstechnologien

Zuvor hatte der Präsident der Gesellschaft für Informatik, Prof. Dr.-Ing. Peter Liggesmeyer, die Konferenz eröffnet. Er zeigte auf, wie sich die Systeme künftig entwickeln werden: Informationssysteme und eingebettete Softwaresysteme, etwa in Fahrzeugen oder Produktionssystemen, werden durch mobile Systeme verbunden und resultieren in Emergent Software und Cyber-Physical Systems. Vor diesem Hintergrund, so betonte Liggesmeyer, sei die deutsche Forschung gut aufgestellt, die mit der GI-Fachgruppe Mobilität und mobile Informationssysteme (GI-MMS) diese Entwicklungen bereits seit 8 Jahren mit vorantreibe. Auch die Universität Augsburg sei hier mit ihrem Engagement besonders hervorzuheben.

Auf der MCTA wurden auch Zukunftstechnologien in diesen Bereichen gezeigt, dabei standen vor allem Drohnen und 3D-Drucksysteme im Mittelpunkt. Thomas Reisacher, Geschäftsführer der Fabrique d'Images zeigte eine Reihe von Schwachpunkten der kommerziellen Drohnentechnologie auf. Während militärische Drohnen in der Größe durchaus an einen Airbus heranreichen können, sind die kleinen zivilen Drohnen in der Regel nicht in der Lage, wirklich Lasten zu transportieren, wie er am Beispiel eines leeren Paketes demonstrierte. Anderseits sind sie etwa in Japan in der Landwirtschaft bereits sehr stark verbreitet, Drohnen führen dort 90 Prozent der künstlichen Bestäubung durch. Einen beeindruckenden Einblick in die Fähigkeiten der 3D-Drucktechnologie gab Prof. Dr.-Ing. Franz-Josef Villmer von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Besonders intensiv diskutiert wurde die Veränderung der Automobilhersteller im digitalen Zeitalter, es referierte Bernhard Stimpfle, Leiter Entwicklung Technologien Mobilitätsdienste bei BMW.

Die Rolle der IT ändert sich im mobilen Kontext

Zuvor hatte bereits Prof. Dr. Volker Gruhn, gleichzeitig Lehrstuhlinhaber für Informatik und Gründer des IT-Unternehmens adesso mit inzwischen mehr als 1000 Mitarbeitern, die "New School of IT" vorgestellt. Dabei wird durch Mobilität, Agilität und Elastizität einerseits die IT in vielen Unternehmen zu vom stillen Dienstleister zu einem der Treiber für das Kerngeschäft, etwa in Versicherungen oder im Mobile-Enterprise-Umfeld. Andererseits stellt sich die Anwendungsentwicklung für die mobile Welt aber als eine neue Disziplin dar, in der die Anforderungen heute oft noch deutlich über den Möglichkeiten liegen. So ist das sinnvolle Testen von Software in diesem Umfeld schlicht nicht mehr möglich und erfordert neue Ansätze, etwa crowd-basiert. Einen Überblick über die mobilen Plattformen gab Christian Feser, Geschäftsführer von M-Way.

Mobile Payment wird das Marketing völlig verändern – aber deutsche Anbieter stehen vor großen Hürden

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Konferenz ist traditionell das Themenfeld Mobile Payment, da sich auf der MCTA nicht nur Experten aus Mobilfunkunternehmen, sondern auch aus Banken und den verschiedenen anderen Bereichen treffen.

Besondere Aufmerksamkeit erhielten in diesem Jahr die neue Mobile-Payment-Strategie der niederländischen Rabobank, die mit dem Kauf des Mobile-Commerce-Dienstleisters MyOrder als erste europäische Großbank mobile Dienste für Handel und Gastronomie anbietet. Rolle und Chancen der Mobilfunkunternehmen im deutschen M-Payment-Markt beleuchtete Christian von Hammel-Bonten von Wirecard.

Bereits am Workshop Day wurden dabei einige unangenehme Fakten auf den Tisch gebracht: So waren 2012 international 15 Prozent der Kartenterminals zum kontaktlosen Bezahlen – etwa mit NFC – geeignet, europaweit 19 Prozent, in Deutschland aber nicht einmal die Hälfte dessen. Jochen Siegert, Geschäftsführer des Gaming-Anbieters Bigpoint und zuvor viele Jahre für Mastercard und PayPal tätig, analysierte den Marktstatus der Mobile Wallets in Deutschland und verwies dabei auf die unrealistischen Nutzungszahlen in vielen Business Cases. Dass von den derzeit 28 Mobile Wallets in Deutschland mindestens zwei Drittel in absehbarer Zeit den Markt wieder verlassen werden, war allgemeiner Konsens unter den Experten.

Im Gegensatz zu NFC sind Beacons eigentlich keine Payment-Technologie. Dass sie dennoch hohe Relevanz im Markt erlangen werden, ergibt sich aus ihren Möglichkeiten zur Erhebung von Retail-Kundendaten. Achim Himmelreich, Vizepräsident des BVDW, verwies auf das attraktive Kosten-Nutzen-Verhältnis von rund 10 Cent pro Kontakt. Einen deutschen PayPal-Konkurrenten baut derzeit die Otto-Gruppe auf: Yapital. Geschäftsführer Thomas Pietsch setzt dabei vor allem auf stetigen Aufbau.

Zum Abschluss der Konferenz stellte Key Pousttchi die neue Studie "Warum wir Mobile Payment neu denken müssen" vor. Sie befasst sich vor allem mit dem Kundenverhalten, das auf dem mobilen Kanal sehr stark differiert, und zeigt den Handlungsbedarf für M-Payment-Verfahren auf. Über Sicherheit etwa kursieren viele Mythen, ebenso darüber, warum es bisher keiner geschafft hat. "An den Kunden liegt es nicht, bereits vor 10 Jahren wollte die Hälfte der Deutschen gern mit dem Handy bezahlen", so Pousttchi. "Aber seitdem hat es kein einziges Verfahren gegeben, das wirklich gut war – und die Kunden habe klare Anforderungen, die man für einen Marktdurchbruch erfüllen muss." Wenn die deutschen Anbieter es nicht hinbekommen, so sieht er vorher, werden es die AGFEA-s machen: Apple, Google, Facebook, eBay/PayPal und Amazon. Er kommt zum selben Problem wie John Strand: Das wäre fatal für Deutschland und Europa. Denn es geht dabei in erster Linie um Kundendaten und das Marketing der Zukunft. Wer das M-Payment beherrscht, so Pousttchi, erhält die Empfehlungsmacht über die künftigen Einkäufe des Kunden – "Predictive Analysis" heißt das. Dies wurde noch heiß diskutiert, als die Experten traditionell bei Cocktails und Jazzmusik die Konferenz ausklingen ließen.

Die MCTA ist die Konferenz für die, die den Fortschritt in der Branche machen

Die Konferenz, die diesmal in Frankfurt stattfand, wird als voller Erfolg bewertet. Die versammelten Experten aus Industrie und Wissenschaft kommentieren die MCTA mehr als zufrieden. Keynote-Speaker John Strand: "It is a national event with a lot of international speakers, but it is important to come here to listen, what is going on here in Germany. For me, it is one of the important events which I really appreciate to participate on, because I feel to meet a lot of interesting people."

Thomas Bause, Vice President Cards & Payment der Deutschen Telekom: "Mit gefällt die offene Diskussionsatmosphäre, man kann sich im kleinen Kreis sehr offen austauschen und hört auch mal die Story hinter den Storys."

Jochen Kroll von der Postbank schätzt die Breite der Konferenz: "Die MCTA ist branchenübergreifend, man bekommt sehr viel Hintergrundwissen aus anderen Bereichen. Sehr wichtig ist natürlich auch das Thema Networking."

Auch Dr. Andreas Schauer, Giesecke & Devrient, sieht seine Ziele voll erfüllt: "Die MCTA habe ich schätzen gelernt als Plattform, um sich mit Experten auszutauschen. Hier trifft sich die Mobile-Payment-Welt aus Deutschland. Wir haben hier die Möglichkeit neue Produkte, neue Projekte zu besprechen, wir können besprechen wie es weitergeht, wie die Zukunftsaussichten sind. Es ist eine Plattform von Experten."

Ein echter Veteran ist Martin Schurig, Leiter Financial Services bei Telefonica: "Die MCTA besuche ich jetzt schon seit 2001 – also schon seit es sie gibt. Und ich schätze sie einfach als Branchentreff, wo man eigentlich alle wichtigen Leute trifft. Dadurch ist die MCTA auch ein fester Bestandteil meines Kalenders im Jahr."

Die inhaltliche Qualität schätzt Dr. Danny Fundinger, Managing Consultant der IBM Global Business Services: "Auf der MCTA trifft man die Fachexperten und kann die Diskussionen führen, die nicht nur an der Oberfläche kratzen."

Die leichteste Anreise in diesem Jahr hatte Dr. Karsten Weronek, Head auf Corporate Information Management des Frankfurter Flughafens – mit der Straßenbahn: "Die MCTA ist für mich, wie keine andere Veranstaltung in Deutschland, die Veranstaltung für das Thema "Mobile" schlechthin. Sie hat eine lange Tradition und was mich bei dieser Tagung besonders reizt, ist der Mix der Teilnehmer und die Tatsache, dass es keine Schönwetterkonferenz ist, da alle Teilnehmer über die gesamte Wertschöpfungskette kontrovers die neuen Themen diskutieren. Hinzu kommt natürlich, dass die Veranstaltung  absolut hersteller- und anbieterunabhängig ist."

Die Veranstalter freuen sich zwar über so viel  Zuspruch. Doch Yvonne Hufenbach, Projektleiterin seit 2010, weiß auch: "Nach der MCTA ist vor der MCTA – und 2015 feiert unsere Konferenz ihr 15-jähriges Jubiläum. Da muss etwas Besonderes her..." Aber wer sie kennt, weiß: Das wird schon – und wir dürfen gespannt sein.


( Pressemitteilung der Universität Augsburg über idw )